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Dienstag, 20. Februar 2024

ŽEN is space (for the cat)



Moonlee Records aus Slowenien fand ich schon immer geil. War zu Renfield-Printzeiten immer eine gute Quelle für Post-Punk, Noise-Rock und Indie und ähnliches aus den Post-jugoslawischen Republiken. Daran hat sich nicht soviel geändert, und zu den dort verlässlich abliefernden Bands gehören ŽEN, die gibt's gefühlt auch schon ewig und hier kriegt's niemand mit.

Jedenfalls: ŽEN haben eine neue Single raus, "NEDAMISE" heißt sie, und dabei geht es nicht nur am Anfang recht spacig zu. Man startet mit retromäßigem Sci-Fi-Gequietsche los. Dann hübsch verhallte und flirrende Gitarren, die legen sich geradezu verträumt über den Uptempo-Antrieb und die kroatischen Lyrics, diese auch mehrstimmig. Shoegaze nennt man solche Sounds wohl, hier würde Spacegaze sehr gut passen, das schenke ich ŽEN mal als Genrebezeichnung. Passende Szene im Film: Supertolles Raumfahrtgerät verlässt mit optimistischem Vollschub die Atmosphäre und macht sich auf in die unendlichen Weiten des Alls.
Später wird die Noise-Brennstufe gezündet. Genau zur richtigen Zeit. Ok, nicht so ganz überraschend, könnte aber in einer Indie-Disco kurz nach Mitternacht gut ins Gebälk krachen. Und dann haben sie noch diese süße Katze im Video, wer hatte nochmal eine Katze ins All geschossen? Der Dalai Lama?

Hinterher wieder viel halliges Gefiepe und Gesummse aus dem Sci-Fi-Soundkasten. Und dann ist's vorbei. Punktlandung geglückt, Applaus aus dem Kontrollzentrum. Captn CHROME und Commander LUSH nehmen die Helme ab und grüßen respektvoll, direkt auf den Balkan. Jetzt hätte ich doch mal wieder Lust auf eine ganze ŽEN-Platte.

Montag, 19. Februar 2024

Schön, wenn aus Wien Musik kommt Pt. III

ZINN - Chtuluzän

Gerade vor ein paar Tagen aus dem Kino gestolpert. Vorher ins Kino gestolpert und "Rickerl" angeschaut, diesen hübsch traurigen Film mit Voodoo Jürgens. Spielt in Wien, und zeigt mal wieder, dass in Österreich kontinuierlich sehr gute Musik entsteht. Als großer Wien-Fan freut es mich somit, dass die umtriebigen Menschen von Staatsakt eine weitere sehr gute Band aus Wien aufgetan haben: ZINN. Drei Frauen, die schwarz nicht nur als Lippenstift tragen.
Ich will die geografische Herkunft nicht als Qualitätsmerkmal herauspolieren, denn auch in Wien gibt es sicher langweilige und doofe Bands. ZINNs erstes Album "Chtuluzän" ist mehr als ein Zucken mit der Augenbraue wert, als nur durch die Tatsache, dass sie aus Wien kommen.


"Chtuluzän" - was mag das denn sein? fragt sich der chipsfutternde Popkultur-interessierte Mensch auf der Couch. Es lohnt sich ein Blick ins Werk der feministischen Naturwissenschaftshistorikerin Donna Haraway, die den Begriff eingeführt hat, um das derzeitige Zeitalter zu benennen. Hier mal die Brühwürfelversion mit Vergleichen.
Irgendwas mit -zän am Ende kommt immer gut, wenn man ein Erdzeitalter beschreiben will. (Dad joke zum Thema: Die drittn Zän, zum Beispiel, hö.). Und wenn dann noch Chtulu davor steht, so als H.P. Lovecraft-Verweis, dann entsteht schnell der Eindruck, dass die damit beschriebenen Umstände monströs sind und somit eh alles fürn Oarsch ist. So pessimistisch ist der Begriff Chthuluzän von Haraway allerdings nicht gemeint, eher als Alternative zum Begriff des Anthropozäns. Ein Begriff mit Lovecraft-Referenz klingt assoziativ allerdings erstmal nach horrormäßigem und komplettem Kontrollverlust und Weltuntergang - so aus Menschenperspektive. Kann aber auch Vorteile haben: Weltuntergangsszenarien waren oft ein gutes Thema fürs Songwriting.

Wie das ist, wenn alles verloren geht, wussten schon einige Musiker*innen aus Wien sehr gut in Musik und Worte zu fassen. Das war dann manchmal auch ganz lustig. Auch ZINN sind darin zuweilen sehr gut. Vielleicht hat es doch was mit der musikalischen Früherziehung oder dem Trinkwasser in dieser Stadt zu tun.
Chtuluzän klingt also cool und fatalistisch gleichermaßen und ist somit definitiv geeignet, um in popkulturellen Zusammenhängen verwendet zu werden. Vielleicht als Warnung, dass wir schon längt in monströsen Zeiten leben? Ich würde das derzeit unterschreiben.
Bezogen auf ZINN könnte man auch gut die griechische Mythologie bemühen: Sind diese drei Musikerinnen popkulturelle Sirenen, die verführerisch und tödlich irgendwelche Helden ins Elend ziehen? Oder sind sie die popkulturellen Erinnyen, die Rache suchen, zornig, ewig jagend, ewig sich rächend, z.B. am Patriarchat (schwer dafür!) oder an der Menschheit an sich?

Es wäre passend, denn bedrohlich ist hier einiges, vgl. "Heiliges CO2".
Zumindest äußern sie ihren Unmut nicht so plakativ, wie viele Punk-Bands, die - sicher ehrlich und löblich, aber auch ein wenig zu offensichtlich - gegen das Elend der Welt anbrüllen. ZINN, und das ist das Schöne an der ganzen "Chtuluzän"-Platte, geben sich eher schleichend, verführerisch und düster, sodass es bedrohlich und attraktiv zugleich wirkt.
Alle Vorsicht nützt nichts, diesem dunkel-süßen Charme kann man sich schwer entziehen. Hier klingt vieles nach Schwermut, nach Goth ohne Goth-Kitsch und Post-Punk wie ihn Siouxsie Sioux zelebriert, gerne mit einem guten Chanson-Spritzer garniert (z.B. bei der "Seeräuber-Jenny". Jaja, so ein Brecht-Touch ist auch mit drin, drunter machen sie's nicht.). Auch die Wut früher Frauen-Punkbands und eine gut präsentierte Systemkritik, die in mächtige Sounds gehüllt wird, zum Beispiel in "Kapital", spielt oft mit rein.


Dazu hat "Chtuluzän" auch oft diese morbide, lethargische Langsamkeit, die an DIE HEITERKEIT erinnert. Ist vielleicht kein Zufall, dass beide Bands ihre ersten Alben bei dem gleichen Label herausgebracht haben.

Morbide: Übrigens auch so ein Wort, das oft mit Wien, den Wiener*innen und den ihnen zugeordnetem Humor verbunden wird. Als müsste man an den Wiener Schulen automatisch ein Halbjahres-Praktikum bei den Friedhofsbetrieben machen.
Es sollte bei aller Desperatheit in Wort und Ausdruck aber nicht der Fehler gemacht werden, ZINN für eine schaurig-lustige All-female-Halloween-Band mit gemütlichem Wiener-Kaffeehaus-Schmäh zu halten. Dafür sind ihre Aussagen zu den Umständen doch zu ernsthaft.
So bin ich fast geneigt ihnen zu glauben, dass wir wirklich in einem Chtuluhaften Zeitalter leben und somit eh alles verloren ist. Oder fürn Oarsch, sucht's euch halt aus. Sollte dem so sein, entschuldigt mich für einen Moment, ich muss nochmal kurz ins Bad, meinen schwarzen Lippenstift für das stilvolle Ende auflegen.

Barry Tomorrow

"Chtuluzän" ist am 09. Februar 2024 auf Staatsakt erschienen.



Foto Zinn: Apollonia Theresa Bitzan

Samstag, 17. Februar 2024

Schön, wenn Stumpf Sand macht Pt.IVMXI

Stumpf - Sand
Die Steinlawine rollt langsam los. Erst nur ein paar Kiesel, aber dann schlagen die Felsen stumpf aneinander, ganz nah am Ohr.
Aber man will den Kopf nicht einziehen, sondern eine angenehme Bedrohlichkeit lockt den Hörer und die Hörerin. Man will Teil der Entropie werden. Eine taumelnde Unwucht bildet schließlich doch einen ziemlich runden Kreis. Der Treibsand krallt sich an die Knöchel und vertrackte Snare-Figuren und drahtigste Basssaiten begleiten das eigene Versinken. Ruhe kehrt erstmal trotzdem nicht ein. Die A-Seite endet dramatisch in Feedbacks und dem Versuch sich zu erheben, aber es folgt immer wieder ein Sturz auf die schon längst blutigen Knie.


Nach der Halbzeit ist die Soundwelt zwar noch die gleiche, kalt und klar, aber es ist sowas wie Tag geworden. Nachdem man so richtig vermöbelt wurde, kann man sich nun langsam wieder aufrichten und voran schleppen. Vermutlich Richtung Strand, aber ob es zum Surfen reicht, ist ungewiss. Das Humpeln ist noch deutlich spürbar, aber es ist ein emanzipiertes Humpeln geworden. Der Kopf nickt. Entlassen wird man in eine weite Landschaft, in der kein Echo hallt. Erschöpft wandelt man ziellos dem Ende entgegen. Herrlich demoliert.

Asja Skrinik

Stumpf - Sand erscheint am 12.03.2023 digital und auf Vinyl auf edelfaul recordings.

Dienstag, 23. Januar 2024

Schön, wenn arbeitende Menschen auch noch Musik machen Pt. I


Im Regal hinter mir steht ein Buch mit dem Titel "Paradoxien der Arbeit".
Habe es noch nicht gelesen, bin abends immer zu müde und kann mir nur noch irgendwas auf Netflix in die Augen schrauben. Allein vom Titel her aber genau mein Buch.
Es geht ja schon mit der Begrifflichkeit los: Sagst du Lohnarbeit oder nur Arbeit? Wenn du nur Arbeit sagst, meinst du trotzdem die Art von Arbeit, für die es Geld gibt - und man unterstellt dir vielleicht, deinen Marx komplett gelesen zu haben.

Du meinst sicher nicht Pflege-, Care- oder Hausarbeit (die du machen musst, willst du nicht die berühmte Madenkolonie unter dem Bett haben).
Diese Lohnarbeit, die strukturierte, die ganze Wochen des einzigen Lebens, das du gerade hast, aus- und verfüllt; diese Arbeit bleibt in ihrer notwendigen Menge, dem Zeit- und Energieaufwand oft zwiespältig. Oder gar scheiße? Vor ein paar Monaten hätte ich das noch mit voller Inbrunst unterschrieben. Habe sogar allgemein über den Zweck von regelmäßiger Lohnarbeit gezetert. Habe Songs darüber geschrieben und morgens rausgebrüllt, meist war es der Blues (vgl. Gary Flanell - "Scheiß Lohnarbeits-Blues").

Nun ist es so, dass die Routine wirkt: Ich bin zufrieden mit meinem Job. Es gibt Geld, Struktur und Anerkennung und wirklich guten Kaffee. Ok, Geld ist auch Anerkennung, aber wenn das was du tust, von deinen Kolleg*innen als gut angesehen wird, dann ist das the groovy kind of Anerkennung. Alles tutti Sahne und gut also, zumindest in diesem Lebensbereich. Und trotzdem, der Zweifel, ob das alles sinnig ist oder gewollt, bleibt. Wird bleiben. Immer ein bißchen. Der Blues zupft mich jetzt halt im Hinterkopf und nicht vorne auf dem Stirnlappen. Fast jeden Song, der diese Ambivalenz von Arbeit thematisiert, finde ich erstmal gut.

Aktuelles Beispiel: Die neue Single namens "Fleißig" von NICHTSEATTLE a.k.a. Katja Kollmann und Band. Textlich so ziemlich alles zusammenfassend, was es dazu im 21. Jahrhundert zu sagen gibt: Über das Abrackern, das Ungläubig Zugucken, auf das, was die anderen für einen Quatsch machen, um im Hamsterrad arbeitsfähig zu bleiben.


Allerdings liegt die Ambivalenz darin, dass es nicht mehr reicht, mit slackerhafter Verächtlichkeit auf all die Idioten zu gucken, die jeden Tag um 8 Uhr morgens im Büro sitzen, während man selber... ja was eigentlich tut?
Um 8 Uhr auch im Büro sitzen, allerdings in dem von deinem Jobcenterberater. Auch nicht cool.


Davon ab geht es hier nicht nur um Arbeit. Eher um das ziemlich häufig auftretende Gefühl, nie genug getan zu haben, immer was machen zu müssen, in der Affenbande der Selbstoptimierung mit durch den Dschungel zu rennen, um dieses Andauernd-was-machen zu müssen, vielleicht auch die dunkle selbstausbeuterische Seite des Prizips DIY (sage ich so und tippe abends um fast elf diesen Text in diesen Blog). Und um eben das Gefühl des "Reicht nicht."

Auf "Fleißig" geht Kollmann das Thema recht poetry-slam-artig an, direkt über die gezupfte unverzerrte E-Gitarre aus der Bob-Dylan-Schule drüber, wird sprechgesungen, ohne sich an HipHop ranzuschleimen und langsam schält sich noch ein Schlagzeug in den Wulst aus Melancholie und Wut. Die oft wiederholte frustig rausgeschrieene Erkenntnis "Ich bin immer so fleißig aber irgendwie... reicht's nicht." drückt schon so gut aus, wie sich die Lohnarbeitswelt im 21. Jahrundert allzu oft darstellt.

Und da könnte sich jeder angesprochen fühlen: Die Tramfahrerin, der vollbärtige Barkeeper hinterm Tresen in deiner Lieblingskneipe, die studentisch Beschäftige in der Unibibliothek, der Post-Doc-Mensch mit einer ganzen Reihe von befristeten Lehraufträgen, die Irgendwas-mit-Medien-Menschen, die Referendar*innen, die am Rande des Burn-Out-Vulkans durch ihre Ausbildung balancieren, freiberufliche Grafiker*innen, Schreiber*innen, Soundtechniker*innen, Musiker*innen, die Quereinsteiger*innen, die sich das mal alles ganz anders vorgestellt haben, die Homies bei Zalando im Lager, der Typ auf dem Wolt-Fahrrad vor dir... soviele Menschen.
Vielleicht sogar die Festangestellten im Öffentlichen Dienst, aber was weiß ich?
Ich stell jetzt den Wecker, muss ja morgen früh raus. Ihr kennt das. Nicht so früh, dass es weh tut... aber trotzdem.

Also: Neue Single "Fleißig" von Nicht-Seattle & Band ist raus, Album "Haus" (produziert von Olaf O.P.A.L.) kommt im April. Auf Staatsakt.
Darüber wird zu schreiben sein.

Gary Flanell

Samstag, 20. Januar 2024

Schön wenn Menschen noch Orgel spielen Pt. XXIIXX


E.T. Explore Me – Drug Me

Drog mich!
Los, komm schon, Drog mich!
Manche Albumtitel lassen sich einfach nicht 1:1 übersetzen, wie wir sehen. Funktioniert nicht.
Drog mich!
Was aber gut funktioniert, ist so orgelgetriebener Psychedelic-Garage Rock von diesen drei Niederländern. Finde ich ja fast immer geil, sowas. Sich nicht nur auf die Kraft der Twang-Delay-Reverb-Gitarre zu verlassen und das Soundspektrum etwas zu erweitern, da steig ich gerne sofort ein. Drog mich! Hier in den heiligen Renfield-Hallen stehen auch diverse Orgeln rum. Direkt neben mir eine Eco Tiger, leider an der ein oder anderen Taste etwas kaputt. Ist nicht so, dass ich wirklich spielen könnte, aber es geht mehr darum, Töne zu erzeugen, als den perfekten Boogie hinzulegen.
Drog mich!

Eine Tiger hat das Trio aus den Niederlanden nicht an Board, ihr Monster mit Tasten ist eine ACE Tone Compact, Orgelexperten werden jetzt sicher lustvoll aufstöhnen. Wenn es das Trum ist, das auf den Fotos vom Infoblatt zu sehen ist, dann ähnelt diese Orgel eher einer Weltmeister Orgel aus DDR-Zeiten (steht auch hier irgendwo im Eck), Feeling B hatten so ein Ding, und es wiegt ca. 35 Kilo. Heavy stuff also. Ich denke, gewichtsmäßig könnte das ACE-Tone-Moped ähnlich gelagert sein. Drog mich!



„Aber lohnt sich das denn? So schwere Instrumente, wo heute dein Handy 3000 verschiedene Synthiesounds basteln kann?“ fragen sich die Feingeister? Na sowas von. Denn schwere Orgeln machen schwer geile Sounds, zu irgendwas muss die verbaute Elektronik ja da sein. Drog mich! Bei E.T. EXLPORE wird’s mal eher fix und nach vorne gehend (Höre "Boots" oder „Noon“, das ist schon schlecht gelaunter Noise-Rock und „SIC“, mit der wunderbaren Kim Tee Lo als Gastsängern) oder eher schwül-mysteriös. THE LO-FAT ORCHESTRA wären so Büder im Geiste, denke ich. Wenn es ein wenig langsamer, rhythmischer und psychedelischer wird, macht „Drug me“ am meisten Spaß. Mir zumindest, hier auf dem Teppich liegend.
Drog mich!

Bestes Beispiel wäre „Lipstick vibrators“, auch weil da diese brummelige Stimme von Joost Varkevisser so geil rüberkommt. Zuweilen muss ich auch an HUGO RACE & THE TRUE SPIRIT denken. Drog mich! Bei denen wird ja auch viel bedeutungsschwanger gebrummelt und somit angenehm desperate Stimmung erzeugt wie kurz vorm Showdown im Spaghetti-Western. Das können Joost und die beiden Jeroens auch recht gut. Drog mich!

Achja, das Album heißt ja „Drug me“ (Drog mich!), aber die Verzückung funktioniert auch sehr gut ohne Zugabe von psychedelischen Substanzen. Wie ich feststelle. Was erst passiert, wenn man sich dazu die richtigen Dinge zuführt, überlasse ich den pillenwerfenden Beatfreaks. Und das hier ist sicher keine naive Lobhudelei auf den Drogenkonsum. Denn wir wissen ja alle, dass Drogen scheiße sind und zumeist auch überaus doof und hässlich machen. Mindestens zwei Gründe, keine längerfristig zu nehmen. Ich hab jetzt eher Bock af Apfelstrudel. Drog mich!

Diese Rezension wurde im 10 minütigen Free writing Verfahren geschrieben und nur sanft redigiert.

Gary Flanell

E.T. Explore Me – Drug Me ist als CD und LP am 19.01.2024 auf Voodoo Rhythm Records erschienen.

Montag, 15. Januar 2024

Schön, wenn Bands noch Musik machen Pt. XIXIIIX


N.T.Ä.
Stories The Pave The Road To Hell


Jetzt ist es so, dass da draußen irgendwelche Bauern und ihre rechten Anhänger/Freunde/Kameraden/Genossen/Provokateure vor meiner Tür demonstrieren und ganz böse und sauer „auf die da oben sind“.
Und deshalb schreien sie Parolen, die teilweise so dermaßen unter der Gürtellinie sind, dass man sich auf einer Pegida-Demo wähnen könnte. So darf man Wut nicht kanalisieren.

Dann schon lieber auf die Art und Weise, wie es N.T.Ä. auf ihrem ersten Album „Stories The Pave The Road To Hell “ vormachen. Hier singt sich Frontfrau Nadine Nevermore die Seele aus dem Leib, als könnte sie alles Übel der Welt einfach wegschreien. Unterstützt wird sie dabei von ihren zwei Mitstreitern Tommy Crack und Axel Äxport. Das sind doch alleine schon mal echte Punk-Namen. Und so klingt auch die Musik dieses Trios. Direkt, raus, rotzig und nach vorne rausgeprügelt. Old School im wahrsten Sinne des Wortes. Eine sehr löbliche Form der Auflehnung und des Protestes. Auch in den Texten, die sich mit dem ganzen Scheiß da draußen von Armut über Drogen bis falschen Freunden auseinandersetzen. Verpackt in Hardcore-Punk-Sound der klassischen Art.



Das Album hätte auch gut in den frühen 90er Jahren das Licht der Welt erblicken können. Hat es aber nicht, sondern heute. Und auch im Hier und Jetzt passt das gut rein. Punk ist ja auch irgendwie zeitlos. Genauso wie die Proteste da draußen. Times are changing und bleiben doch irgendwie immer gleich. Da brauchen wir so einen Sound. Egal aus welchem Land er kommt, sogar aus Deutschland (Du alte Sau!).

Abel Gebhardt

N.T.Ä. - Stories The Pave The Road To Hell erscheint am 26.01.2024 als LP/CD auf Kidnap Music.

Samstag, 6. Januar 2024

Schön wenn Garagepunks noch Garagepunk machen Pt. XIIX


Japanischer Garage-Punk hatte schon immer eine ganz eigene Faszination. Das lag sicher zum einen an der für europäische Hörer recht überdrehten Performance
und nunja, grellen, fast comicartigen Interpretation von Rock'n'Roll und Punk. Das hatte und hat immer großen Unterhaltungswert, dafür muss man sich nur mal auf einen Gig von GUITAR WOLF begeben. Und sicher liegt's manchmal auch an den Lyrics, die oft gar nicht zu verstehen waren, selbst wenn klar war, dass da irgendwie auf Englisch gesungen wurde. Was aber auch wieder egal war, denn: Einen Scheiß drauf geben, ob dich jemand versteht oder eben auch nicht nicht, das war Punkrock.

Neben GUITAR WOLF gab es noch die in den 90ern recht präsenten TEEN GENERATE aus Tokyo, die unzählige Singles und LP's auf Labels wie Crypt oder Estrus rausgebracht haben. Wer "Wild Zero", das Rock'n'Roll-Wunderwerk im Filmformat, gesehen hatte, der kannte auch diese Garage-Punks.
Was aus denen geworden ist? Gebe zu, dass ich mich das in den letzten Jahre kaum gefragt habe. Die werden schon irgendwo sein, aber eben nicht in meiner Lebenrealität, dachte ich.

Eine hübsche Überraschung, dass nun die ANGEL FACES (nicht zu verwechseln mit der ähnlich klingenden französischen Band aus den 80ern) um die Ecke kommen, denn damit schließt sich der Kreis zu TEENGENERATE. Deren Gitarrist Fink hat nämlich, so scheint es, eine neue Crew um sich geschart und jetzt haut man gleich mal ein knackiges Album und eine 7inch raus.
Musikalisch ist klar, wohin es geht, die machen jetzt keinen Glee-Doom oder experimentellen Wurst-Wave. Sehr frischen Garage-Rock präsentiert man. Als wäre es immer noch Mitte der 90er, die Lederjacke und das Ramones-Shirt in Größe M würden immer noch passen und Chucks wären immer noch das, was als Gesundheitsschuhe durchgehen würde.
Die Gitarre klirrt wunderbar schrammelig-dünn und früh-punkrockig, eigentlich alle Songs haben ein ordentliches Tempo und der Gesang von Hercules (SO muss ein*e Sänger*in heißen! Eigentlich sollte es in jeder fuckin' Garageband eine Person namens Hercules geben. Grüße an dieser Stelle an die Cockbirds. Habt alles richtig gemacht.) ist angenehm struppig.


Bei manchen Chören muss ich glatt an müllige TOY DOLLS nennen, ohne dass der Gesang zu Olga-esk wird. Ansonsten regieren Ramones-Riffs und - TEEN GENERATE-Beats, alles schön billo, aber nie so lederartig finster wie GUITAR WOLF, sondern sehr gut gelaunt, also wie gemacht für eine richtig geile Punkrock Party. Bei "I can't stop" gönnt man sich sogar eine Reminiszenz an Chubby Checkers Twist - twistig wird's dann aber doch nicht.
Das schöne ist nun einfach, dass das zwar alles wieder erkennbar ist, aber soviele Bands, die diesen Stiefel fahren, gibt's auch nicht mehr. Von daher große Freude, dass Fink und seine Bande am Start sind. Fast schon beruhigend sowas. Hoffentlich gibt's ANGEL FACE bald mal live zu sehen. Ich komm dann rum.

C auf der 26,5-teiligen bewertungs-Skala aus dem Renfield-Universum.

Gary Flanell

Das selbstbenannte Debut-Album vom ANGEL FACE ist auf Slovenly Records erschienen.

Freitag, 5. Januar 2024

Schön wenn MMMMenschen Musik machen, Part XIX

Mila Morgenstern + Michael Merkelbach
M4+ ½ =


Das Duo mit den vielen Ms macht auf diesem Tape zu zweit Musik im Mehrspurverfahren. Eine erfrischende Ansammlung diverser Groß- (Fender Rhodes, Bassquerflöte) und Klein-Instrumente (Maultrommel, Thermoskanne) addiert sich zum verträumt vor sich hin murmelnden Gesamtsound, der gegen Ende auch noch funky wird. 

Ein paar Samples sind in den Arrangements versteckt und werden geklärt, mir sind sie nicht aufgefallen. Dafür hab ich das Rätsel um die seltsam mathematisch anmutenden Titel schon mal gelöst.

Spoiler Alarm: Sie entsprechen jeweils der Anzahl der Viertelnoten pro Takt bzw. Loop-Periode. Da fast alle Titel auf „1/2“ enden, gibt es also jede Menge stranger Rhythmen, nur nicht so simple Sachen wie Vierviertel oder Walzer oder so. In Griechenland normal, hier eine Art Rhythmus-Sudoku, zusammengepuzzelt von den beiden Ms. in ihrem Musikzimmer und mit (1/2?) Gast.


Für alle, denen das jetzt aber zu viel Gezähle ist, haben alle Stücke noch poetische Alternativtitel zwischen Morbidität und Melancholie. Damit passen sie auch ganz gut zum manischen Morphen und Mäandern der Musik. Die würde mir noch besser gefallen, wenn beim Anhäufen der Spuren oder spätestens im Mix noch ein bisschen Luft zum Atmen geblieben wäre.

Sun Ra Bullock

Mila Morgenstern + Michael Merkelbach - M4+ ½ = - ist erschienen auf Tomatenplatten

Freitag, 27. Oktober 2023

Konzert+++ Konzert+++Konzert+++


Jawollo Apollo!!
Endlich mal wieder schöne Musik!
Irgendwo im Osten, aber nicht allzu tief im Osten. Kurz hinter der Ringbahn, wo die hoffnungsvollen Wohnungssuchenden jetzt auch mal hinschauen, von Friedrichshain aus. Auf einer der gemütlichsten Bühnen, die diese gentrifizierte Zombie-Stadt noch zu bieten hat.

Genauer gesagt, in einem Hinterhof, in dem nun Gras wächst und früher mal alles mit Betonplatte ausgelegt war. Einem Hinterhof, in dessen dazugehörigen Hauptgebäude einst Spione spionierten, und jetzt Menschen gemeinschaftlich zusammenleben. In einem Schuppen, einem kleinen Mehrzweckgebäude im Hinterhof auf dem ehemaligen Gelände des DDR-Geheimdienstes, der sogenannten REMISE.

Also: Kommt rum und seht es euch an. Kommt vorbei und hört zu. Kommt vorbei, nehmt einen Drink und jubelt zu nettem Anti-Folk und Singer/Songwriter Zeug. Wird gemütlich.

KONZERT IN DER REMISE

Wann? 04.11., ab 20 Uhr.

Wo? Remise im Hinterhof, Magdalenenstraße 19, Haus 4, 10365 Berlin.

Wer?

DRUNK AT YOUR WEDDING (Electric folk, Berlin)

LUTZ NEUSTADT (Singer/Songwriter, Berlin)

GARY FLANELL (Silver Slacker Sounds, Berlin)


***ENGLISH VERSION***

Hell ya!

DRUNK AT YOUR WEDDING, Lutz Neustadt of LUTZILLA and Gary Flanell are playing live- somewhere on one of the coziest stages this gentrified zombie city has to offer.

Where spies once did, ehm, spy, there is a shed, a remise, a small multi-purpose building in the backyard on the former area of east german secret police HQ, there will be now music.

If you do not believe, come around and see. Come around and listen. Come around and cheer to some nice anti-folk and singer/songwriter stuff.

CONCERT @ THE REMISE

Date: 04.11., ab 20 Uhr

Location: Remise im Hinterhof, Magdalenenstraße 19, Haus 4, 10365 Berlin


Artists:

DRUNK AT YOUR WEDDING (Electric folk, Berlin)

LUTZ NEUSTADT (Singer/Songwriter, Berlin)

GARY FLANELL (Silver Slacker Sounds, Berlin)


Mittwoch, 25. Oktober 2023

Die Skizzen von Kurosawa


Seit etwa 12 Jahren wohne ich nun in Deutschland. Mal hier, mal da, aber über die Hälfte davon und mit Unterbrechungen in Berlin. Dennoch gibt es Tage, wo ich das Gefühl habe hier überhaupt nicht her zu gehören. Dank ein running-gag von mein Vater war ich mir schon sehr früh von POTUS nummer 35, JFK, und sein Position zum Berliner-Sein bewusst.
Wenn ein Typ der nicht mal in Berlin gewohnt hat sich ein Berliner nennen kann, warum sollte ich das dann nicht?

Aber als ich mich an einen letzten Juni-Tag ein kleines Arbeitspäuschen nehme und durch die Straßen von Kreuzberg spaziere, merke ich wie sich doch ein gewisses Gefühl langsam breit macht.
Ist es die Sonne, die nur so halbherzig durch grauen Wolken scheint aber doch den Fernsehturm glänzen lässt? Ist es das typische Niederländische Ehepaar was sich über die Preis von Brötchen beschwert und von den ich mich dringend mental distanzieren möchte?
In meine weite, etwas schlabberige Hosen, mit Sandalen an den Füßen und eine Club-Mate, latsche ich zu der Comic Laden in Arbeitsnähe auf der suche One-Shots, Independent-Comics und Artbooks, und das Gefühl wird größer und größer.

All das hat daran beigetragen, dass die unsterblichen Wörter von John Fitzgerald „Jack“ Kennedy voller Stolz und Gusto durch mein Kopf schießen, als wäre ich 26. Juni 1963 da gewesen:

„Ich denke, ich bin heute gefühlt dann vielleicht doch schon ein bisschen ein Berliner glaube ich.“

Mit diesem starken Gefühl der örtlichen Zugehörigkeit mach ich mich 60 Jahren und 3 Tagen später weiter auf den Weg nach den Comic Laden Modern Graphics. Bevor ich reingehe schaue ich neugierig ins Schaufenster und da steht es ja auch schon. Zwischen jede Menge größere und buntere Buchen sehe ich ein kleines, schlichteres Büchlein mit den Wörter „Akira Kurosawa“. Hat einer der wichtigste Filmmachern der Welt auch mal gezeichnet?
Das Cover, ein bisschen versteckt hinter den größeren Bücher drum herum, zeigt neben der Name des Direktors süße kleine Samurai Kritzeleien und ein großen Frosch, letzteren in einen typisch Japanischen Tuschen-Stil.

Die Idee, dass so ein Meister der Filmwelt auch ausreichend kleine Kritzeleien gemacht und gesammelt hat für ein Band, fasziniert mich.
Bestimmt ist Herr Kurosawa eines Tages, irgendwo zwischen Rashomon (1950) und Madadayo (1993) aufgestanden, hat sich ne Kippe angezündet, lamentiert das Toho ihm noch immer kein Godzilla Film drehen lässt und sich aus der Frust ans Zeichnen gesetzt hat.



Oder vielleicht würden die ganzen Skizzen und Zeichnungen von seine Enkelkinder auf den Dachboden gefunden. Voller Staub und Spinnenwebern waren sie, und die Enkelkinder haben sie liebevoll saubergemacht für die Nachwelt und ihren Portmonee.

So oder so, mir war ziemlich klar das ich es haben wollte. Doch das Buch steht im Schaufenster. Das darf man doch nicht einfach so nehmen, oder? Ich stöbere der Anstand halber noch etwas durch den Laden. Hatte ich sowieso vor, aber statt dabei nur entspannt ohne viel zu denken die viele Bücher und Comics und Merchandise anzugucken, denke ich ständig an das Kurosawa Buch.

Enfin, nach den ganzen Laden beachtet zu haben entscheide ich mir ein weiteren Comic zu genehmigen. In Junji Itos Cat Diary: Yon & Mu kauft die Verlobte von Horror Mangaka Junji Ito zwei Kätzchen. Die Geschichten sind sehr Süß und witzig, weil Katzen. Sie sind auch fürchterlich grotesk und düster gezeichnet, weil Junji Ito.

Und dann, dann tue ich es einfach: Ich grapsche das Kurosawa Buch im Schaufenster. Die Legalität dieser Aktion ist mir noch immer ein Rätsel, also kündige ich sofort an bei der Kasse, dass ich diesem eingeschweißten Buch mit meine dreckige kleine Finger wie ein Krimineller zu mir genommen habe um es zu kaufen. Voll okay, anscheinend.
Ob ich ein Kassenzettel will? Eigentlich immer. Heute aber irgendwie nicht. Den Junji Ito comic habe ich durchgeblättert und kannte ich schon. Das Kurosawa Band ist sogar noch in Folie, und ob perfekt oder bloß gut, ich kann mir nicht vorstellen das es mir nicht gefallen wurde.
„Nö, recht herzlichen dank“, sage ich mit ein Lächeln und wünsche den Verkäufer ein wunderschönen Tag. Dadurch wirke ich natürlich nochmal so extra wie ein wasch-echter Berliner.

Das Buch heißt im ganzen: „Akira Kurosawa und der meditierender Frosch“. Auf der Rückseite eine Abwanderung einer der weltweit Bekanntesten Haikus, über ein Frosch der so von „plumps“ im Teich springt. Unter den schelmischen Frosch steht Reprodukt. Neben Akira Kurosawa steht, an einer etwas verlorene Stelle, das Wort „Mahler“.

„Aha, weil er ja gemalt hat“, denke ich mir, und realisiere den Fehler den du jetzt bestimmt schon siehst sehr langsam. Denn trotz meine 12 Jahren Erfahrung mit den Uhreinwohnern dieses Landes habe ich gelegentlich noch meine Schwierigkeiten. Umlaute? Die verteile ich nach Gutdünken wie Gewürze über meine Sätze. Die ganze Fälle? Gar nicht erst mit Anfangen die zu lernen.

Es fängt an mit ein Comic-Adaption von Tagebuch eintrage einer Österreichischen Autor. Ungewöhnlich, aber eigentlich spannend. Und passend auch, denn es geht darüber wie schön es ist Geschichten zu erfinden aber wie anstrengend es manchmal ist diesen dann zu verwirklichen als, in diesem Fall, eine Bühnenproduktion. Die darauffolgende Comics irritieren dann schon etwas mehr. Ein Charakter spricht mit Österreichischen Akzent, es geht um sehr spezifische Ereignisse in der Deutschsprachige-Comicwelt und so werde ich mir so langsam von meinem Fehler bewusst.

„Mahlen“ und „malen“. Vor etwa 9 Jahre habe ich diesen Fehler schon mal gemacht. Vorher und seitdem garantiert auch, aber da ist es noch mal ein Ding gewesen. Wie hätte es auch kein Ding sein können, den „Insekten mahlen macht mir Spaß“ kann man verständlicherweise nicht einfach so stehen lassen.

Ich seufze. Kennedy und mein Vater düsen gemeinsam mit dem Auto nach Dallas und aus meine Gedanken raus um Platz zu machen für die Stimme meiner Mutter:

„Ein Lernmoment.“

Ich nehme es hin. Ich akzeptiere es. Ich war impulsiv und der Preis dafür ist anscheinend €16,-. Resigniert Blätter ich durch den Comic.
Der Autor, Nicolas Mahler, ist mittlerweile in Japan gelandet und eröffnet eine Ausstellung zu seine Werken in einem Manga-Museum. Später sehen Leser*innen die klassische japanischen Tuschbilder, von Mahler als Maler nachgemalt. Auch der frecher Frosch vom Cover ist dabei. Es kommt ein bisschen Wut hoch. Wütend bin ich sehr selten. Ausrasten weil ich mir von ein Person unfair behandelt fühle und kein andere Verteidigung sehe passiert auch kaum.

Anfänglich galt mein Wut nur das Marketingteam von Reprodukt: Lumpengesindel das ein so groß möglichen Publikum erreichen will anstatt dafür zu sorgen, dass hauptsächlich die richtige Zielgruppe den Comic kauft.
Indem man zum Beispiel den Namen des Autors nicht massiv viel kleiner schreibt als den Namen eines viel bekannteren Menschen, idealerweise vor einem lebensgroßen Frosch welchen in einem Komplett anderen Zeichen-Stil als der Rest des Comics. Ach, und mit 2 kleine süße Samurai, die nur auf 1/4 der Seiten eine Rolle spielen. Doch es stellt sich heraus, auch Herr Mahler ist in dieser Nummer nicht unschuldig.



Auf Seite 114 entschuldigt sich der Autor bei diejenige Leser*innen, denen das Buch gekauft haben weil sie dachten, es wäre Material von Akira Kurosawa. Zum Ausgleich bietet er Trivia an, gefühlt direkt aus'm Wikipedia-Artikel. Noch wie war ich so sauer auf A5 Papier.
Bestimmt sind die Comics ganz gut, vor allem wenn man sich dafür interessiert selber hauptberuflich (Comic)-Autor*in zu werden in einer der D-A-CH Länder.
Diejenige Geschichten in welchen der Autor von Begegnungen mit anderen interessante Autor*innen oder Künstler*innen fand ich am meisten Unterhaltsam, aber alles wo das Natterngezücht von Reprodukt primär über sich selbst oder seine Gedanken schreibt, da war ich aus unterschiedlichen Gründen raus.

Denn in die ewige Wörter von John Fitzgerald Kurosawa, einstiger Daimyo von Berlin:

Ein Tropfen fällt
Schaut, das Gefäß ist randvoll
Die Erbitterung

Bernard Fruithagel

Samstag, 21. Oktober 2023

Schön, wenn tote Brüder Musik machen


Vintage oder retro?
Der Unterschied ist den Kenner*innen bekannt. Alle anderen schmeißen alles in einen Topf. Es hat auf alle Fälle was mit Nostalgie zu tun. Mit Konstruktion von Erinnerungen, an Zeiten, die man selber gar nicht miterlebt hat. 20ties Revival und so. Berlin Babylon hast du geguckt und fandest es super. So eine Art von Nostalgie und Retro-Liebe. Alles zusammengebastelt aus allerlei Versatzstücken und Assoziationen.

Yah, Nostalgie. Hasse ich eigentlich. Höre ich diese Platte, werde ich dennoch nostalgisch, denn schon beim ersten Hören der neuen Platte von Pierre Omer's Swing Revue "Tropical breakdown" denke ich an zwei Läden in Berlin, wo sie ihm sicher ungehört die Tür für einen Gig aufgemacht hätten. Hätten.
Denn beide Läden, das BASSY und das WHITE TRASH, gibt's seit Jahren nicht mehr. Da hätte Pierre mit seinem Revue-Sound super hingepasst. Hier etwas Swing, da etwas Variété-Stimmung, etwas Bar-Jazz (das sanft gestrichene Schlagzeug!) fluffige Bassläufe, eine Voodoo-Hafte Quietsche-Posaune, eine Nick-Cave-artige Dunkelheit in Omars Stimme. Nick Cave aber nur, wenn der sich mal an einer Swing-Platte versucht hätte (Hat er? Die Renfield-Recherche-Abteilung hat leider gerade Urlaub.).


Alles, wie man es sich in so Läden mit schummrigen Licht, riesigen Tresen und Barschränken voller seltsamer Spiritousen, sowie allerlei schräger Trash-Deko vorstellen kann. Jetzt und heute wäre in dieser Stadt nur noch das Roadrunner's Paradise, das eine ähnliche Atmosphäre vermittelt.

Die Geister, die Clubgeister, sie halten sich immer noch in dieser mutierten Stadt.
Die Erinnerung an Clubs, die ihre Zeit hatten und nun verschwunden sind. Die Faszination des Verschwundenen hält sich über die Halloween-Saison hinaus in den Kiezen, also eigentlich immer. Der Swing-Revue von Pierre Omer hängt auch etwas Geisterhaftes an, weil die Instrument meist so getragen bedient werden, als hätten sie gerade einen Gig bei einer Bestattung (liegt wohl auch an der eleganten Bekleidung der Musker*innen) und dir zuweilen im Hintergrund Prophezeiungen zuflüstern wie Botschaften unruhiger Geister, die du nicht verstehst. Old-School-Horrormovie-Charme? Sumpfige Gothic-Atmo ohne Kunstleder-Vampir-Kitsch? Ein bißchen von beidem. Melancholie? Eine Menge.

"Give me the groove" wäre ein Prachtbeispiel für das Gefühl der Verlorenheit, die sich durch das Album zieht, textlich und musikalisch. Auch tröstlich, all das. Stelle mir vor, am Tresen zu sitzen, den Kopf vornüber auf dem eichenbraunen Holz abgelegt, im Schnapsglas irgendwas klares, das mit langsamen Schlucken den Weg in deine froschbeladene Kehle antritt. Dazu diese hübschen fatalistischen Songs.



We all gonna go, if there's a hell below, schießt es mir beim Hören durch den Kopf. Das ist von von wem anderen, musikalisch auch komplett andere Baustelle, aber die Grundstimmung ist dieselbe.

Nun ist nicht alles komplett hoffnungslos auf dieser Platte. Die Songs schlirren melancholisch daher, aber gerade das ist das Seelenpflaster für alle verwirrten Zuhörer, die nicht mehr doomscrollen wollen.

Ab und zu wird's auch mal recht flott, im Titeltrack oder bei "Leslie Kong", dem Hit am Ende, zum Beispiel. Ansonsten hät man sich tempomäßig meist zurück, die erwähnte Friedhofsgetragenheit steht den Songs sehr gut. Das trägt einiges zur Stimmng bei, besonders fällt das beim einzgen deutschsprachigen Song, "Lanen" auf. Aber auch sonst so: All diese 12 Songs sind wunderbar atmosphärisch arrangiert und in sich sehr hübsch angeordnet.
Stell dir vor, das hier wäre der Soundtrack zur 5. Staffel von Preacher, dann weißt du wohin die Reise geht. Wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass diese Platte kurz vor Halloween rauskommt, denn auch dort könnnte das gut als Soundtrack taugen. Wobei das hier eine Tiefe vermittelt, die über den kurzen Grusel-Party-Spaß hinausgeht und dich auch im Sommer dazu bewegen könnte, das Haus nicht zu verlassen.



Zur Überschrift: Das mit den toten Brüdern kommt nicht von ungefähr, denn Pierre Omer ist einer der Gründer der DEAD BROTHERS und die sind ja mittlerweile wirklich dead, so als Band. Wer deren dräuende Befürchtungen mochte, kann auch mit dem zweiten Album der Swing Revue was anfangen. Wobei hier weniger auf Folklore zurückgegriffen wird.

Der Titel: Tropical breakdown? Ach komm, lass uns nicht über Anspielungen auf den Klimwandel spekulieren. Die Welt brennt an allen Ecken des Tischtuchs und nun gibt es auch noch passende Musik dazu. Love it.

Also: Alles ist verloren, Hoffnung gibt's keine mehr, aber wenn der Unterang von diesem Album begleitet wird, dann wird es ein schönes Sterben.

C auf der 26-teiligen Renfield-Tonträger-Bewertungs-Skala

Pierre Omer's Swing Revue "Tropical Breakdown" ist am 20. Oktober 2023 auf Voodooo Rhythm Records erschienen - wo auch sonst? Diese Rezension ist nach der Methode des "Free Writings" entstanden.

Samstag, 26. August 2023

Schön, wenn Orchester Musik machen

Ein Echo aus der Vergangenheit, wieder mal. Aber diesmal kein Nostalgie-Anfall. Es geht vielmehr um eine Band, deren frühere Platten ich immer noch sehr gut finde, die ich aber im Renfield-Winterschlaf etwas aus dem Augen verloren habe.

Das LO FAT ORCHESTRA war in Renfield-Hausen immer hoch angesehen, weil ihre Songs immer einen ordentlichen Drive hatten, dazu auf schöne Tasteninstrumente zurückgegriffen wurde und es außerdem eine gute Eingängigkeit gab. Post-Punk mit Heimorgel-Charakter, der mich bei jedem Album immer so gut mitgenommen hat, als würde ich an der Auffahrt zur nächsten Musik-Autobahn mit dem Daumen raus stehen und mal schauen, wohin mich dieser Lift bringt. Mit dem LFO ging es gefühlt immer sehr weit raus und das war schön.

Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sich die Band aus Schaffhausen im Laufe der Jahre sang- und klanglos aufgelöst hatte, wie so viele andere Bands, aber das war wohl nicht der Fall. Nun gibt es eine neue 7inch auf Tomatenplaten, dem Label von Beatsteaks-Drummer Thomas Götz, der immer wieder die interessanten Pflanzen in seinem musikalischen Gewächshaus heranzüchtet. Und deshalb passt ja das LFO super dorthin. Weil irgendwie schon immer Indie oder Post-Punk, aber nicht so richtig einzuordnen.

"ALL I GOT, ALL I WANT" ist eine hübsche treibende Synthie-Punk-Nummer mit knackigem Basslauf, der in seiner Geradlinigkeit das Gefühl vermittelt, du würdest in einer Rakete sitzen, die gerade Richtung Andromedanebel start. Space also. So einen leichten Sci-Fi-Retro-Touch hatten die LFO-Songs sowieso immer mal wieder. Es war dieses treibstoffartige Nachvorne-Preschen mit diesen weltraum-artigen Synthie-Sounds, wie man sie im letzten Jahrhundert gern mal zur Untermalung von Sci-Fi-Filme genutzt hat.
Auch "ALL I WANT", zweiter Song der A-Seite, womöglich die Response für den vorangegangenen Call "ALL I WANT" geht ähnlich gut nach vorne, ist auch viel knackiger und kürzer. Allerdings mit sehr verhalltem Gesang, denn das Verträumte, das Spärische, das immer auch typisch war für die Band, soll ja nicht verloren gehen.



DEAD MAN auf der B-Seite dagegen, ist ein hübscher langsamer Schieber mit Heimorgel-Beat und -Sounds, psychedelisch-verträumt, dabei aber so eingänging wie eine Pop-Ballade und so entspannt wie ein Spaziergang auf einem Trampelpfand durch einen zugewucherten Garten. Erinnert mich dann doch ein wenig an MOGWAI oder die vergessenen Finnen von MAGYAR POSSE, nur weniger rockig und dem 7inch-Format geschuldet,auch kürzer. Macht es natürlich nicht schlechter. Eher besser.

E auf der 26,5-teiligen Renfield-Rezensions-Skala

Gary Flanell

ALL I WANT vom LO FAT ORCHESTRA erscheint auf Tomatenplatten

Sonntag, 20. August 2023

Schön, wenn Menschen Musik machen, Nostalgie-Edition Teil 2

Also. Nostalgie.
Auch wenn ich ihr eigentlich eher ablehnend gegenüber stehe, gab es doch neulich einen Moment, in dem ich anhand einer neuen Platte wirklich nostalgich wurde.
Auf Wegen, die ich nicht mehr so richtig nachvollziehen kann, bin ich auf VANILLA BLUE und derene zweite LP "Sweetheart" gestoßen. Eine Band aus Frankreich, genauer gesagt aus St. Etienne. Es kommt selten vor, dass ich über Bandcamp Platten kaufe, hier war es der Fall.
Denn VANILLA BLUE habe mich an den glücklichen Moment erinnert, an dem ich eine sehr rockige Art von Punk gehört habe. Bands wie MEGA CITY FOUR, NOZEMS, DEAD MOON, DOUGHBOYS, NOMADS. Waren und sind irgendwie geil. Keine Idee, dass man das oft als Garage-Punk bezeichnen konnte, es war einfach eine schöne relaxte Art von Punk, die nicht unter ein Label oder in eine Szene gepackt werden konnten. Eher Jeansjacke als Leerkutte passt da als Outfit. Und sicher gab es dafür schon große Vorbilder aus den USA oder Australien, wie THE SAINTS, CELIBATE RIFLES und ähnliches, aber die waren eben für mich in den 90ern nicht so greifbar.

Jedenfalls: Ich höre VANILLA BLUE zum erstenmal, dann zu zweiten Mal, zum dritten Mal. Und auf Bandcamp ein komplettes Album dreimal hintereinander hören, ist für mich schon ein Zeichen großer Liebe. Damit hatten sie mich soweit, dass ich mir über ihr Label NINETEENSOMETHING das orangene Vinyl bestellen musste. Großartige und abwechslungsreiche Songs sind das. Manchmal schleichen sich sogar Bläser ein, und quelle surprise - bei "Panic" hat sich JERRY A. von POISON IDEA als Gastsänger dazugestellt. Interessante Kombi, denn Poison Idea hätte ich als Verbindung zu dem Sound von VANILLA BLUE so gar nicht gesehen.



Die wahren Connaisseur*innen wissen natürlich, auch, dass "Vanilla Blue" der Titel eines Songs von NAKED RAYGUN ist. Die wiederum kenne ich nur sehr flüchtig, obwohl es mich musikalisch sicher ansprechen würde, habe ich mich mit denen noch nie näher beschäftigt. Aber Musikinteresse folgt nicht immer den logischen Wegen.



Darüberhinaus musste ich beim Hören als Vergleich nicht nur an MEGA CITY FOUR & Co. denken, sondern auch an einen eher obskuren Sampler, der hier immer noch im Regal steht, und für mich, ganz subjektiv, immer noch eine ganz großartige Compilation eben jener Bands war, die sich im Feld zwischen Punk und Garage tummelten.

"The Violence Inherent In The System" erschien 1991 in Frankreich, die meisten Bands kamen auch von dort, aber ein paar Combos auch aus Finnland, der Schweiz oder Schweden - wo es recht große Garage-Punk-Szenen gab. Mit NOISE ANNOYS war sogar eine Hamburger Band dabei, wobei ich finde, dass die im gesamten Setting soundmäßig eher rausstechen. Ich mag diesen Sampler immer noch, es ist für mich eine fast perfekte Zusammenstellung von gutem Garage/Punkrock. Songs wie "Surfin' in the bars" von den Nomads oder "Sex my soul on fire" von den BACKSLIDERS kennt wohl fast kein Mensch mehr, es sind aber immer noch Perlen.

Genauso wie "All around" von den SCUBA DRIVERS. Hübsch-melancholische Pop-Punk-Nummer, von einer Band, die wieviele andere Bands, damals nicht über ein Mini-Album und eine 7inch heausgekommen ist. Diese Mini-LP steht hier schon seit fast 30 Jahren im Regal, es gibt Momente, da lege ich sie immer noch gerne auf. "All Around" ist auch auf dem einen oder anderen Mix-Tape für Frauen, in die ich hemmungslos verschossen war, gelandet. Mehr Emotion zeigen, war mir damals leider nicht möglich. Dieser Song ist also schon sehr wichtig für meine kleine Nostalgie-Perspektive auf die Musik der 90er-Jahre.



Das führt mich wieder zu VANILLA BLUE und NINETEENSOMETHING"-Records. Denn beim Rumklicken auf deren Homepage stoße ich im Merch-Bereich nicht nur auf eine CD-Compilation eben jener SCUBA DRIVERS, sondern auch auf ein T-Shirt der Band. Dass es diesen usammenhang zwischen lang vergangenen und ganz aktuellen Bands gibt, die einen solchen Sound gespielt haben, freut mich natürlich wie Bolle. Ich mache mir aber nichts vor: Das ist schon ziemliches Schubladenwissen und nicht von großer popkultureller Relevanz. Aber egal - Relevanz Firlefanz. Für einen Moment ist das Leben beim Hören dieses Songs und all dem anderen Kram, der sich auf der NINETEENSOMETHING-Seite findet, so leicht wie damals zwischen 19 und 22, als ein gutes Mix-Tpe oder eine gute CD reichte, um den Sommer gut zu machen. Und das ist meine kleine Quelle von Nostalgie, aus der ich mir ab und zu einen Schluck gönne. Aber nur manchmal.

Gary Flanell

Samstag, 19. August 2023

Schön, wenn Menschen Musik machen, Nostalgie-Edition Teil 1

Ach, Nostalgie. Ich mag dich nicht. Keine Entschuldigung dafür. Wehmütiges Abfeiern von Bands, die im Kontext von Punk/Hardcore einmal sehr präsent waren, finde ich gelinde gesagt, echt gruselig. oder wenn sie nochmal für einen Gig vorbeischauen, wobei die Läden immer kleiner werden. Band wie MDC oder DOA, beide vor gar nicht langer Zeit hier mal in Berlin zu sehen. Haben vielleicht auch einen Slot bei Festivals bekommen. Ich hab mir beide Gigs in den Kalender eingetragen, hingegangen bin ich zu keinem.

Sieh es ein, Punk-Opa: So schön wie damals, als du jung, die Knochen hart, die Gelenke elastisch und Körper wie Geist insgesamt flexibler waren, wird es nicht mehr. Kümmer dich lieber um deinen Garten.

Ich find's scheiße, nur den alten Quatsch abzufeiern, sich irgendwelche Wiederveröffentlichungen von Uralt-Bands zu kaufen, die, wenn man ehrlich ist, auch nur so semi-spannend waren. Aber das ist ja sehr subjektiv, ich weiß. Auch wenn deine Lieblingsband von damals musikalisch nicht die hellsten Sterne am Musikantenhimmel waren, ist es gut möglich, dass sie für dich sehr viel bedeuten. Immer noch. Und dass du dafür auch eine Menge Geld für die neuen Vinylversion irgendwelcher krumpeliger Demo-Aufnahmen bezahlst, auch ok. Aber was machen diese Aufnahmen dann heute mit dir?

Sie bringen Erinnerungen hoch, Assoziationen an gute Zeiten, schöne Nächte, eine gewisse Sorgenfreiheit, all das. Ist nicht verkehrt. Bedenklich finde ich allerdings, wenn sich die Lebenswelt und -realität komplett an diese im Nachhinein glorreichen Zeiten anpasst. Wenn das Heute so gar nichts mehr gibt. Ich spreche hier in erster Linie von Musik bzw. der Teilnahme an einer Subkultur.
Dass das Leben im 23. Jahr des 21. Jahrhundert viele Krisen und auf persönlicher Ebene Anforderungen bereit hält, vor denen man nicht wirklich die Augen verschließen kann, kommt ja noch dazu.
Ich finde es sehr schwierig, sich in Zeiten von Ukraine-Krieg, deutlichen Auswirkungen des Klimawandels, Rechtsruck in Deutschland, mit Nostalgie zuzukiffen, als wären die 80er- oder 90er die besten Zeiten im HC-Kosmos gewesen. Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sind bei so einer Retro-Vison natürlich nur das eine, der ganz subjektive Blick auf "Damals" kommt dazu. Die Erinnerung an geile Konzerte im JuZe neben an ist natürlich schön, aber auch nur, weil es eine Erinnerung an eine Oase ist, außerhalb der so ziemlich alles kacke war.

Ich denke, Nostalgie fokussiert sich immer auf einen ganz kleinen speziellen Punkt in der eigenen Biografie, der in der Nachbetrachtung im eigenen Wertesystem als perfekt gesehen wird.
Dieser kleine spezielle Aspekt ist aber nicht ganz eindeutig, sondern setzt sich zusammen aus vielen kleinen Bruchstücken von Erinnerungen, die im Nachklapp zu einem Ereignis zusammenballen. War es jetzt '93, wo Kollege Knolle beim SOIA-Gig auf dem PinkPop-Festival sich zum ersten mal Stagediving ausprobiert hat oder war es 1994? Es ist egal.
Alles blubbert zu einer Erinnerung an eine schöne Zeit zusammen. Kann ja auch Kraft geben. Aber nicht andauernd und nicht, wenn es dazu dient, das Hier und Jetzt größtenteils auszublenden.

Ganz schräg finde ich dahingehend das Rebellion-Festival in Blackpool. Ich war noch nie da, sehe aber natürlich die Ankündigungen und auch Bilder von Alt-Punks, die sich dann im vollen Punk-Ornat dahinbegeben.
Als wäre es nicht 2023, sondern 1984, die letzte CONFLICT-Platte wäre das heiße Ding und die neue von THE DAMNED oder den TOY DOLLS sowieso. Aber es ist ja 2023, tja, sowas auch...

Ich frage mich dann immer: Was machen die Punk Piepels, die da so hübsch raugeputzt stehen, wohl den Rest des Jahres? Wenn wieder Montag morgen im November ist und du dich wieder mit den täglichen Anforderungen herumschlagen musst, was macht ihr dann? Vielleicht denke ich da gerade auch zu schablonenartig, aber das sind Gedanken, die ich anhand von den zugänglichen Bildern bekomme. Was tut ihr, wenn der Punkzirkus weitergezogen ist?

Also: Ich finde Nostalgie insgesamt nicht wirklich cool. Liegt auch an meiner persönlichen Wahrnehmung.
Es gab früher wenig, was in meiner persönlichen Lebenssituation richtig geil war. Für sehr, sehr lange Zeit. Musik und Punk im speziellen war eine Möglichkeit zur Flucht, aber nicht in dem Maße, dass es immer für eine positive Verklärung meiner damaligen Lebenssituation sorgen könnte. Klar, ist alles arschlange her, aber es prägt immer noch. Das Überschreiben mit positiven Erinnerungen geht, dauert aber.
Die letzten 20 Jahre waren z.B. im Nachhinein wirklich gut.

Von daher bin ich sehr froh, im Hier und Jetzt zu Leben. Stabil leben zu können, neue Bands und Musik entdecken zu können, auch wenn vieles davon nicht mehr so wirklch mit Punkrock zu tun hat. Ich hab keinen Bock, mich andauernd im Kreis zu drehen. Lieber beim Kollegen eine schräge Afro-Beat-Platte hören, als alleine in der Bude die komplette Cock-Sparrer-Vinyl-Sammlung (die ich nicht habe) streicheln...

Das alles lag mir wohl auf dem Herzen. Aber eigentlich sollte es hier um einen positiven Augenblick der Nostalgie in den letzten Wochen gehen. Und um einen ganz aktuelle Platte, die damit zu tun hat. Abe dazu mehr im nächsten Teil der Nostalgie-Edition von "Schön, wenn Menschen Musik machen".

Donnerstag, 6. April 2023

Men out of time (Charley Crocket & Friendly Rich)

Neulich war ich bei IKEA - unnd danach mit sehr viel Weltschmerz und Depression erfüllt. Soviel Sinnlosigkeit. Soviele Menschen, die wie die Lemminge Sinn im Kauf suchen. Ihr Narren. ihr Wahnsinnigen. Ok, lustig war es auch. Im Kino hätte ich weniger Spaß gehabt, aber mehr Eintritt bezahlt. Kino hätte aber mehr Vergnügen geschafft. Denn trotz aller Häme im Möbelhaus: Solche Besuche erschöpfen mich einfach und ich fühle mich viel älter als ich bin. Soviel Quatsch, den man eigentlich nicht braucht, von alle zuviel, vor allem von Menschen. Kann mich mit diesem Gefühl der Erschöpfung ob soviel gefühltem Unsinn nur dem Kollegen Nals anschließen, der seine Perspektive auf Shopping-Malls ja vor einigen Tagen hier eingebracht hat.

Zum Glück gibt es Gegengifte zu solchen Gefühlen - meistens und am wirksamsten ist Musik. Interessanterweise Musik, die selber nicht besonders hoffnungsvoll und optimistisch daher kommt. War es Townes Van Zandt, der gesagt hat: "Nicht alle meine Lieder sind traurig, manche sind auch hoffnugslos"? Großartig. Da muss ich doch wieder herzlich lachen und mit mir die Krähen im Baum über mir und dann ist die Welt wieder ok. Für ein Wochenende.

Hier also mal zwei meiner derzeitigen absoluten Seelenbalsam-Songs gegen die Depression, die sich aus Überdruss, Erschöpfung und Sinnlosigkeit speist und dort am besten gedeiht, wenn zuviele Menschen unfreiwillig aufeinanderhocken und man dir zwanghaftes Feel-Good-ehm, Feeling einimpfen will.

1. Charley Crockett - Lesson in Depression

Crockett liebe ich schon seit Jahren. Entdeckt habe ich ihn vor einiger Zeit im Urlaub in Posnan. Lag im Hostelbett, hatte nix zu tun und dann kam "Welcome to the hard times" beim YT-Scrollen daher. Soviel Spaß an Western-Musik und Cowboy-Romantik hatte ich lange nicht mehr. Eine detailliertere Betrachtung von Charleys wirklich umfangreichen Werk (10 Platten in acht Jahren) steht auf der To-Do-Liste für diesen Blog. Kommt dann demnächst.
Aber was ich jetzt schon empfehlen kann, ist "Lesson in Depression". Geiler Song, um mit dem Thema umzugehen. Psychic Appropriation nenne ich das hier mal, die Umkehrung der Depression als Makel, da finde ich mich voll wieder. Man kann auf Depressionen nicht stolz sein, sie hindern eine*n sehr häufig an einfachen alltäglichen Dingen, aber thematisieren sollte man sie. Und Charley hat das sehr schön gemacht.



2. Friendly Rich - Man Out Of Time

Nächster Kandidat für den paradoxen Feel-Good-Soundtrack: Friendly Rich. Kommt aus Kanada und hat jetzt gerade eine neue Platte raus, "Man out of time". Ha! Und auch da fühle ich mich sofort gut abgehoben. Wie nennt man sowas? Outsider Music? Weird Folk? Na, sowas halt.
Stell dir irgendwas seltsam kauziges von Tom Waits vor, wenn der sich an Metal-Growls mit Vaudeville-Band versuchen würde. Ja klar, der Waits-Vergleich kommt auch wegen der Stimme daher. Schön düster, als würde sich Friendly Rich beim Spielen zum Sterben in die Wälder zurückziehen. Oder zum Rendez-Vous mit dem Wendigo.

Auf der Fusion hat er schon gespielt, also sollte seine neue LP "Man out of time" (Ende März erschienen) nicht nur irgendwo in kanadischen Plattenläden zu kriegen sein, sondern auch in ausgewählten Plattenläden in dieser Gegend des Planeten. Total verrückt wäre es natürlich, wenn er demnächst auch mal hier stinknormale Clubgigs spielen würde. Ins Bassy hätte er super gepasst, ähnlich wie Sean Rowe, damals. Aber das Bassy gibt's ja gar nicht mehr. Hmmmm.

Dienstag, 4. April 2023

Die Hölle


Ich weiß jetzt wie die Hölle aussieht:

Es ist ein Einkaufszentrum, so ein riesiges wie der Alexa in Berlin am Alexanderplatz.

Oder heißt es ‚das Alexa’? Oder – naheliegenderweise –‚die Alexa’? Also, die Alexa an einem Samstag, das müsste der Hölle ziemlich ähnlich sehen. Da überkommen die dafür empfänglichen Besucher grundsätzliche Fragen der Menschheit – und bleiben doch vollkommen unbeantwortbar:

Woher kommen wir eigentlich?

Wohin gehen wir?

Wer hat das alles so eingerichtet?

Wie sind wir hier hineingeraten?

Wieso kommen wir nicht mehr heraus?

Wieso ist hier plötzlich die Voltairestraße?

Hat das alles einen Sinn?

Wieso gibt es überhaupt einen Starbucks und nicht vielmehr nichts?

Sartre hat in "Die geschlossene Gesellschaft" geschrieben: »Die Hölle, das sind die anderen.« Jetzt weiß ich, was er gemeint hat. Es sind vor allem diejenigen anderen, die ihre Kleidung hektoliterweise kaufen und in mehreren Papiertüten hinter sich herschleifen. Das ist kein Einkaufszentrum. Korrekterweise muss es ‚Shopping Mall’ genannt werden. Denn kaufen tut man Notwendiges.

Shoppen dagegen ist eine religiöse, eine ganzheitliche Erfahrung, die Gaffen, Unnötiges erstehen (das eine Woche später auf Ebay landet) und teuer Aufgetautes aus der System-Gastronomie Herunterwürgen umfasst. Die vollständige Abwesenheit von Sinn empfinden die Buddhisten als Befreiung und nennen sie Nirwana.
Als unumkehrbar Okzidentaler bedeutet sie für mich nur die Hölle. Wissen alle hier Anwesenden, all die Katholiken, Protestanten und Muslime, dass sie gerade religiös querpudern? Werden sie nicht dereinst gerade deshalb in die Hölle kommen – also in ihre Hölle?
Und warum müssen Atheisten wie ich durch die Hölle auf Erden, wenn sie nicht an die Hölle im Untergeschoß des Himmels glauben? Die anderen können sich hier wenigsten vorbereiten; die haben wenigstens was davon; die kommen dann unten an und sagen: »Ach sooo! Wie in der Alexa ist das hier. Vielleicht kann ich jetzt endlich meine Sammelkarte vervollständigen und kriege den zehnten Peitschenhieb gratis.«
Aber wir?

»Der Herr schaut noch?«

Nein, der Herr hört leider auch noch. Nämlich diesen Electro-R ’n’ B-Angriffskrieg gegen jeglichen musikalischen Geschmack, der dennoch zur Konsens-Musik erklärt worden ist. Das soll die Musik sein, die allen gefällt? Und in der U-Bahn-Station nebenan wird Klassik über die Lautsprecher gespielt, um die Säufer zu vertreiben.

Bach soll die Menschen abstoßen – und dieses Disco-Geblubber sie anziehen. Warum, zur Hölle, ist mir das unbegreiflich?
Aber es sind ja zehn Schuhgeschäfte in dieses Einkaufszentrum gepresst und ich brauche Schuhe, dringend, gegen die Knieschmerzen, die langsam unerträglich werden. Nach dem zehnten Paar, das ich im dritten Schuhgeschäft probiert habe, will ich der sechsten Verkäuferin eine Verdienst-Medaille verleihen, weil sie diese Umgebung erträgt mitsamt der Muzak, all den Jugendlichen ohne vernünftige Freizeitbeschäftigung, den Erwachsenen im Schnäppchenrausch – und mitsamt mir, der sich noch immer nicht für das knieschonendste Paar entscheiden kann.
Aber wie soll man auch die weichen Sohlen überhaupt wahrnehmen können, wenn die Musik im Fahrstuhl Richtung Untergeschoß am ganzen Körper Krämpfe verursacht stärker als die eines Epileptikers? Easy listening is a heavy duty.

Nach zwei Stunden versuche ich fluchtartig, irgendwie einen Ausgang zu finden, weil mittlerweile der Knieschmerz vom Ohrenschmerz und vom Weltschmerz überdeckt wird.
Aber die Sache hat einen Pferdefuß: In weiser Voraussicht haben die Architekten keine Balkone oder Terrassen an der Shopping Mall angebracht, weil es naheliegend wäre, sich von dort direkt hinunterzustürzen – entweder um der Qual durch einen Suizid ein sofortiges Ende zu bereiten oder weil man schlicht den Ausgang nicht findet.

Raus hier, völlig egal, ob aus dem Leben oder nur aus der Mall! Nachdem mir der Selbstmord verwehrt geblieben, jedoch endlich der Ausgang gefunden ist, bleibt mir nur eine Lösung: Ich kaufe mir fünf Pilsator, setze mich auf die Bank zu den Säufern und höre mit ihnen Bach. Dabei ist mir dann vollkommen egal, ob von Johann Sebastian, Carl Philipp Emanuel oder David Josef. Und Alkohol lindert bekanntlich selbst höllische Knieschmerzen.

Herr Nals

Die Hölle als Einkaufszentrum? Einkaufszentren als gescheiterte Höllen?

Gibt es unter retailhellunderground

Sonntag, 5. März 2023

Schamanen-Punk im Badehaus: VHK & Törzs, live 04.03.2023

Intro. Am Tresen.

Typ: Bist du nicht der Goldschmied aus der Gräfestraße?

Ich: Nee, seh ich so aus?

Typ: Jau. Du siehst voll so aus wie der Goldschmied aus der Gräfestraße.

Ich: Nee, sorry, kann ich nicht mit dienen. Aber wenn ich so ausseh, dann geh ich vielleicht mal da hin und mach ein bißchen was mit Gold.

Typ: Gute Idee, mach mal.

*****

Die Rasenden Leichenbeschauer spielen im Badehaus auf dem RAW-Gelände. Ich nenne sie hier mal VHK, das ist die Abkürzung des ungarischen Namens Vágtázó Halottkémek, den ich kaum aussprechen kann. Rasende Leichenbeschauer. Allein mit dem bescheuerten Namen hatten sie mich in den 90ern schon am Wickel. Hab mir bei Malibu diese LP bestellt, die auf Alternative Tentacles raugekommen ist, "Hammering at the gates of nothingness". Auch das ein schöner sprechender Name. Was das heißen sollte, wusste ich damals nicht. Ich weiß es auch heute nicht. Es könnte so einiges heißen, alles vielleicht. Oder gar nichts. Aber es klingt toll.

VHK habe ich lange Zeit vergessen. Keine Ahnung, wo die in den letzten Jahrzehnten so waren. Im Fußball-Sprech gibt es ja die Phrase von den Toren, die man machen muss. Ich denke, es gibt auch Konzerte, die man machen muss. In den 90ern habe ich kein VHK-Konzert gemacht. Wie auch, die haben ja nie in unseren Breiten gespielt? Und die Informationslage zu ungarischem Schamanen-Punk war eher dürftig.

Jetzt also die Info, dass sie in Berlin spielen. Wieder der Gedanke wie bei vielen alten Bands: Was, die gibt's noch? Große Freude. Und Unruhe. Was, wenn das Konzert ausverkauft ist? Das wär scheiße. Also schnell Tickets besorgt, wer weiß, was da los ist. Will nicht auf dem RAW-Gelände stehen und in die Kälte frusten, weil alles sold out ist. Nela und Alex kommen mit, drei Tickets sind dann doch fix gebucht. Danke Alex.

Das Badehaus ist nicht ansatzweise ausverkauft. Meine Befürchtungen waren umsonst, allerdings auch meine Einschätzung der Relevanz von VHK. Alles verschwindet. Relevanz als erstes, dann Bands und dann die eigene Wahrnehmung. Nichts ist mehr so wichtig, wie wir es gern hätten.

Das Badehaus ist zwar nicht menschenleer, aber auch nicht proppevoll. Wir sind so pünktlich, dass die Vorband schon angefangen hat. TÖRZS. Klingt vom Einlass aus so zurückhaltend, als würde die Musik aus der Bluetooth-Box kommen. Ist dann aber doch schon live. Drei jungen Typen, alle sehr konzentriert und introvertiert auf der Bühne. Bass, Gitarre, Schlagzeug, das übliche. Kein Gesang, aber gut machtes Instrumentalzeug.


So eine flirrende dünne Gitarre, die wie eine verträumte Libelle über den Rhythmusteich schwebt, dazu stoisch korrekter Bass und entspanntes Trommeln. MONO und MOGWAI fallen mir ein, TÖRZS sind definitiv nicht schlechter, vielleicht ein bißchen zu unauffällig insgesamt. Bei Bands aus Berlin, die sowas veranstalten, würde ich rausgehen und einen rauchen, hier gefällt mir das zur Akklimatisierung sehr gut.

Das Badehaus ist eh eine schöne Location. Angenehme Größe, Bar und Konzertraum gut getrennt, guter Sound und rauchfrei. Das ist schon geil. Die Klamotten stinken nur nach Schweiß und Mensch und nicht nach stickigen Rauch. Sowas ist wichtig mittlerweile.
VHK fangen... wann an? Lass es neun Uhr sein oder so. Zeit ist nicht so wichtig, wie wir feststellen werden. Raum irgendwie auch nicht. Wahrnehmung schon eher.
Wahrzunehmen ist bei der anstehenden Schamanen-Punk-Performance erst einmal folgendes: Gleich sieben Männer stehen auf der Bühne. Nur Typen. Alles ist doppelt vorhanden: En Sänger, zwei Gitarristen, zwei Bassisten, zwei Trommler. Einer davon mehr so der Percussionist mit riesigen galeerenartigen Trommeln und Schlagwerkzeugen. Er dann auch noch so in Fell gehüllt. Alle Musiker mit kryptischen Zeichen, Linien und Mosaiken an Laib und Kopf versehen. Schlachtbemalung für den kosmischen Tanz eben. Kann also losgehen.

Hinter der Band ein riesiges Backdrop mit archaisch anmutenden Zeichnungen, wie man sie von den VHK-Platten kennt. Dieser Hybrid aus Rinderschädel und Steinzeitadler, links und rechts riesige Traumfänger, vor der Bühne an der Ecke ein rot beleuchteter Rinderschädel. Es sieht aus, als hätte jemand ein Goa-Zelt von der Fusion im Badehaus ausgepackt. Sonne, Mond und Sterne - made in Schamania.
Es geht dann ohne Vorwarnung los. Peng, eine Eruption mitten in die Fresse. Die ersten fünf Minuten stehe ich mit geschlossenen Augen da. Bin mitten drin im Sturm aus Tribal drums, humanem Wolfsgeheul, Gitarrenlärm und Bassgeblubber. Die Mitte des Universums ist in diesem Moment Attila Grandpierre. VHK-Sänger. Neben dem Bassisten schon von Anfang an dabei. Laut Wikipedia unglaubliche 71 Jahre alt und dabei so knackig und sehnig wie ein junger Hirsch. Astrophysiker ist er auch. Warum passt das mit dem, was er da auf der Bühne abzieht so wunderbar zusmmen und ist so gar kein Widerspruch? Steht da in einem bunten Talar wie ein animistischer Priester, auf dem auch wieder die Symbole von Hirsch, Sonne, Mond und Sternenwirbel zu finden sind. Gleich zu Beginn bricht alles los, als wollte die Band den Urknall reenacten. Strobo auf volle Pulle, man muss sich abwenden vor soviel Helligkeit und akustischem Druck. 90 Minuten lang wird im folgenden das All, die Galaxie, das Universum, alle Sternbilder, die sich so finden, in Sound und Licht komprimiert. Das Badehaus fliegt davon und alle anwesenden Zeug*innen dieses Infernos gleich mit.


Meine Augen bleiben lange geschlossen. Ich muss auch gar nichts sehen; sich in diesen Mahlstrom fallen zu lassen, reicht aus. Merke irgendwann, dass ich mir vor langer Zeit, es mag ein oder zwei Äonen her sein, mal eine Limo holen wollte. Geht aber nicht. Die Leichenbeschauer lassen keine*n Anwesenden aus dem Bannstrahl, peitschen Publikum und sich selber 90 verdammt kosmische Minuten lang durchs Universum. Lärm, Rhythmen, Extase. Das wollten wir und das haben wir bekommen. Egy kozmikus tombolás.
Wildes, unverständliches Geheul. Ob das Ungarisch ist oder animalische Lautäußerungen, wer kann das sagen? Ein einziges Brodeln, ein Kochen, keine Ansagen, keine Begrüßung, keine Verabschiedung. Würde alles nur den Zauber zerstören. Ich erwarte, dass es klopft, und der Mond reinkommt, weil ihn jemand gerufen hat. Jupiter und Venus waren neulich am Himmel zu sehen, sagten die Facebook-Spatzen. Ich glaube zu wissen, was sie mit ihrem Erscheinen ankündigen wollten. Das hier.

Füße wieder auf der Erde. Realitätscheck.
Es gab dann doch ein paar Punkte, die mir bei aller Faszination aufgefallen sind:

1. Keine Leichenbeschauer*innen:
Von ausgeglichenem Männer/Frauenverhältnis ist auf der Bühne keine Spur. VHK bestehen in der derzeitigen Konstellation nur aus sechs weißen jungen und alten Männern. Die einzige Frau von der Crew verkauft Shirts am Merch-Stand. Aufgabenteilung also wie so oft im Punkzirkus. Schamanen-Punk könnte gut eine Prise Geschlechterparität vertragen.

2. Die Posen der Schamanen:
Attila und Bassist Soós Lajos Szónusz sind die einzigen verbliebenen VHK-Urmitglieder. Derzeit haben die beiden Silberrücken eine ziemlich junge Grupe an Musikern um sich geschart. Die wirken, als hätten sie intensiv die Posen alter 80er-Metalbands studiert. Ein beinn auf die Box gestellt, die langen Haare zurückgeworfen, die Gitarre auch mal af dem Rücken gespielt oder ins Publiku gegeben. Rücken sich aber nie zu sehr in den Vordergrund damit, den da dreht sich und steht ja Attila, das Zentrum des VHK-Universums und das sei ihm auch gegönnt.

3. The Joy of Schamanisten aging & welcome to the working week:
Alle Welt redet von Iggy Pop und wie fit der noch wäre für sei Alter. Scheiß doch auf ollen Pop. Wenn ihr einen rüstigen Rockrentner sehen wollt, dann geht zu einem VHK-Konzert. Attila is the man. The old man. Der Gig war im übrigen eine einmalige Sache. Der nette TÖRZS-Gitarrist erzählt, dass beide Bands nur für diesen einen Gig von Budapest nach Berlin gefahren sind. Während ich diese Zeilen schreibe ist also sicher ein Trail von ungarischen Schamanenpunks auf schneeverwehten Autobahne unterwegs Richtung Südosten. Denn Lohnarbeit macht auch vor Rock-Derwischen nicht halt. Und am Montag muss man halt wieder an die digitale oder analoge Schippe. Nur Attila Grandpierre wahrscheinlich nicht, es sei ihm zu gönnen, mit über 70 den Ruhestand eines Astrophysikers zu genießen. Soós Lajos Szónusz natürlich auch.



Gary Flanell

Fotos: Frau Knaup

Montag, 13. Februar 2023

Tex Perkins & The Fat Rubber Band - Other world

Australische Alt-Rocker feiern ab - und ich find's gut.

Aber zunächst ein Wort zu einer bestimmten Gruppe von Menschen. Jenen alten Mucker-Silberrücken mit Resten von Indie, Punk und Blues im Blut, die Tex Perkins noch von den sagenhaften (passt hier wirklich) Beasts of Bourbon oder The Cruel Sea kennen und seit Jahren mitverfolgen, was er regelmäßig an Soloalben veröffentlicht. Diese Menschen also, die immer weniger werden, die wissen es längst schon. Dem Rest der Welt sollte es auch nicht vorenthalten werden: Tex Perkins hat eine neue Platte raus. Mit der Fat Rubber Band. Klingt spitze. Also alles zusammen. Ok, ist totaler Männer Rock'n'Roll, aber... ach kein Aber...



Jedenfalls: Tex Perkins macht keine 180-Grad-Kehre. Er macht jetzt nicht Electro oder Indie-Polka mit Schlitz im Kleid, sondern eigentlich das, was er schon immer gemacht hat, seit hunderten von Songs, im Bandkontext oder Solo: Halt so Rock. BluesRock. Kernig, dreckig, traurig. Ein alter weißer Mann weint und singt und brüllt ins leere Outback hinein.
Fat Rubber Band - Das klingt nicht nur vom Namen her nach Blues, herrlich schmierigem Rock'n'Roll oder Country (von Country gibt es in Australien ja einiges. Hörte ich. Sagte mal jemand.), sondern auch musikalisch. Was auf YouTube zu hören ist, klingt vielversprechend und landet irgendwo im Staub zwischen groovigem Rumgejamme älterer Herren und desperaten zurückhaltenden Akustikgitarrennummern.



Alles insgesamt der richtige Soundtrack für einen Konzertabend in einem Laden mit heruntergedimmter Beleuchtung. Und Teufel noch eins, das wird's bald geben. Denn Text Perkins & The Fat Rubber Band sind bald auf Tour, in Berlin spielen sie z.B. im Quasimodo. Gute Gelegenheit, den Laden mal anzuchecken. Bis dahin spare ich für ein paar gute Stiefeletten oder richtige Boots und ein neues Hemd mit Schwalben und Rosen drauf.

Tex Perkins & The Fat Rubber Band - 10.05.2023, live in Berlin, Quasimodo.

Dienstag, 7. Februar 2023

Schön, wenn Menschen Musik machen Pt. XXIX


PARK BENCH SLEEPERS - Welcome to our duty free shop of natural highs

Klassischer Indie-Pop: so könnte man einen Versuch beschreiben, diese Platte in aller Kürze zU beschreiben. Aber die Kürze ist hier nicht gefragt. Etwas ausholen darf sein, denn diese einzigen Album der PARK BENCH SLEEPERS aus Süddeutschland hat einen traurigen Hintergrund: Jens Kreuzer, der hier singt und außerdem Bass, Keyboard, Piano und Akustikgitarre spielt, ist 2021 verstorben. Hat somit den Release dieses Albums ein Jahr später nicht mehr miterlebt. Sowas lässt die Songs nochmal aners wirken.



Haben wir es hier mit einem so konzipiertes Abschiedsalbum zu tun? Wieviel Gewissheit, dass das Kreuzers letztes Album sein wird, schwingt bei den Arrangements mit? Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen: Hier klingt nichts dunkel oder desperat. Alle Songs durchzieht eine entspannte Atmosphäre, eine fast schon frühlingshafte Melancholie. Als hätten hier vier Menschen gemeinsam ihren Frieden gefunden und einer ganz besonders.

Es ist seltsam: Wieviele Bands gibt es, die ambitioniert und richtig gut in ihrem Metier waren und dann nach einer oder auch keiner Platte einfach verschwinden? Ohne Spuren zu hinterlassen, aus Gründen, die nicht offensichtllich sind. Klar, kann man sagen: Mach mit deiner Band was außergewöhnliches, was so schrill grell und unkonventionell ist, dass sich noch jeder dran erinnert. Aber die Felder der Popmusik, auf denen so etwas möglich ist UND eine gewisen Eingängigkeit ermöglichen, werde immer kleiner. Denn vieles war eben schon da. Isshaltso.



Den PARK BENCH SLEEPERS wird es wohl ähnlich gehen wie den Armeen von Bands, die mal auf- und dann wieder abtauchen, vermute ich. Könnte sein dass der Schock vom Tod einer zentralen Bandmitglieds so dermaßen auf die Band einwirkt, dass die drei verbliebenen Mitglieder sich anderen Projekten zuwenden.

Un die Songs dieses Albums? Werden wohl nur Kennern und Liebhabern von melodiösem, solidem Indie-/Brit-Pop etwas länger präsent bleiben. Es gibt sicher Millionen von Bands, denen ein ähnliches Schicksal widerfahren ist. Es ist dann einfach vorbei. Nichts passiert. Kein Nachhall, keine Folgen dieses releases. Außer ein paar Reviews wie diese, die ebenso bald von neuem Kram überspült werden. Alles versinkt in dem, was schon am nächsten Tag veröffentlich wird.

Dabei gibt es hier wunderbare Songs. Manche sind hübsch psychedelisch, immer mit einem gewissen 60ies-Touch, eher so knackig wie bei den Kinks, als so mellow wie die Beatles. Und zuweilen, wird es auch mal etwas rockiger, und es scheint als hätten Oasis auf der Bank bei den Schläfern Platz genommen. Das gefällt mir dann nicht so, aber das ist ja Geschmackssache. Vielleicht rührt mich diese Plattte deshalb so an, weil ch mal einen freund hatte, der vor langer Zeit ähnliche Musik gemacht hat und letztes Jahr gestorben ist. Möglicherweise kannn ich das, was hier durchklingt, deshalb derzeit gut nachvollziehen. Und möglicherweise kommt es deshlab zu einer Rezension im hier und jetzt n dieser Stelle.



Also: Ist das hierr eine Platte für die Ewigkeit? Nicht unbedingt. Aber eben auch eine, die nicht auf dem Müllhaufen der Popgeschichte vergessen werden sollte. Sondern einfach schön und in sich sehr harmonisch klingt. Frieldich halt.

G auf der 26,5-teiligen Renfield-Plattenbewertungs-Skala

PARK BENCH SLEEPERS - Welcome to our duty free shop of natural highs ist 2022 auf Rookie Records erschienen.